„An der Einmündung der Kupfer in den Kocher ist das enge und unregelmäßig angelegte, sehr unebene Städtchen an dem gegen beide Flüsse hinziehenden Ausläufer eines schmalen Bergrückens hingebaut und war durch diese Flüsse auf der nördlichen und westlichen Seite natürlich unzugänglich.“
Die Oberamtsbeschreibung von 1865 lässt vor dem geistigen Auge sofort das Bild einer Landschaft entstehen, in die man sich gerne für ausgedehnte Spaziergänge begibt. Das unberührt anmutende Kupfertal lädt den Wanderer ein, für einige Zeit in die Natur einzutauchen und auf insgesamt sieben Bachquerungen dem Alltag zu entfliehen. Das charismatische Städtchen Forchtenberg mit seinen verwinkelten Gassen und mittelalterlichen Häuserfassaden schmiegt sich malerisch an die bewaldeten Berghänge.
„Im Allgemeinen trägt Forchtenberg den Charakter eines sehr alten, im Mittelalter wohlbefestigten Städtchens“ heißt es in der Oberamtsbeschreibung von 1865. In früheren Tagen wurde hauptsächlich Feld- und Weinbau sowie Viehzucht betrieben, was den Einwohnern „mittlere Vermögensumstände“ sicherte. Noch heute gilt Forchtenberg als Weinbauort.
Einsatz der gesamten Familie in der Landschaftspflege
Dort wo das Städtchen endet und die Kupfer mündet, liegt der Hof der Familie Haag. Gemeinsam mit den Söhnen Benjamin und Kevin sowie Christian, dem Cousin der Brüder, bewirtschaftet das Ehepaar rund 50 Hektar Landschaftspflegeflächen von Forchtenberg bis Belsenberg. 1984 übernahm Dieter Haag von seinem Vater den landwirtschaftlichen Betrieb, der damals noch mit Schweinen und Kühen geführt wurde. Heute besteht der Viehbestand aus 300 – 400 Schafen und Ziegen sowie zwei Australian-Shepherd Hündinnen. Zwischenzeitlich lebten auch noch bis zu 14 Pferde auf dem Hof, da die Familie die riesigen, schwarz-weiß gescheckten Tinker sogar züchtete. Als Dieter Haag 2011 schwer herzkrank wurde, entschied die Familie jedoch schweren Herzens die Zucht aufzugeben und die Tiere nach und nach zu verkaufen. Die Schafe und Ziegen sind in drei Herden aufgeteilt, die die Landschaftspflegeflächen der Haags beweiden. In den Herden laufen verschiedene Schaf- und Ziegenrassen bunt gemischt. Rassestandards bedeuten Dieter Haag wenig, für ihn ist nur wichtig, dass seine Tiere gesund und fit sind.
Die Herden der Familie werden jeden Tag kontrolliert und auf neue Flächen gebracht. Da die Männer der Familie voll berufstätig sind, müssen alle anfallenden Arbeiten nach Feierabend oder an den Wochenenden erledigt werden. Obwohl jeder Handgriff sitzt und alle mit anpacken, benötigt die Familie dafür täglich mindestens drei Stunden Zeit – und das, wie die Fotos erkennen lassen, bei jedem Wetter.
Der Betrieb hat sich über die Jahre zu einem wesentlichen Landschaftspflegebetrieb im Kochental und dessen Seitentälern entwickelt: Vor allem die aus der Nutzung fallenden Weinbergslagen würden ohne das Zutun der Familie Haag zunehmend verbuschen, die kleinstrukturierten Lebensräume für Arten trockenwarmer Standorte wie die Zauneidechse, Schlingnatter, Wilde Tulpe und Traubenhyazinthe würden verschwinden.
Die großflächige Beweidung mit Schafen und Ziegen erhält jedoch nicht nur die typische offene Kulturlandschaft des Kochertals, sondern trägt auch zur Erhöhung der Artenvielfalt bei. Zahlreiche Insekten und Wirbellose nutzen das ‚Schaftaxi‘, um neue Habitate zu erschließen. Einige Pflanzenarten sind sogar auf die Passage durch den Magen-Darm-Trakt der Wiederkäuer angewiesen, um erst keimfähig zu werden. So schafft die Familie Haag ein großflächiges Verbundsystem von Forchtenberg bis Belsenberg, in dem ein reger Artenaustausch stattfinden kann. Das große Engagement seiner Söhne lässt Dieter Haag hoffen, dass sie den Betrieb in Zukunft einmal weiterführen werden. Sein Traum ist es, drei Generationen in dem großen Wohnhaus am Hof vereint zu wissen. Die Jugend hingegen träumt von einer Aufstockung des Betriebes auf 1.000 Schafe. Doch der vorhandene Stall ist bereits jetzt an den Grenzen seiner Kapazität angelangt. In den nächsten Jahren soll daher ein weiterer Stall gebaut werden.
Vermarktung über regionale Anbieter
Ein Teil der Lämmer der Familie Haag wird an die bäuerliche Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall verkauft oder in Direktvermarktung abgegeben. Für den jährlich in Forchtenberg stattfindenden Weihnachtsmarkt, der laut Benjamin Haag der Beste in ganz Baden-Württemberg sei, lässt die Familie nach eigener Rezeptur verschiedene Wurstwaren herstellen. Die Lämmer, die nicht zur Schlachtung ausgewählt wurden, dürfen bis an ihr Lebensende bei ihren Artgenossen bleiben. Neben dem Verkauf auf dem Weihnachtsmarkt ist das alljährliche Lammfest eine feste Institution für die Haags. Das Fest wird jedes Jahr um den Geburtstag von Dieter Haag veranstaltet und erfreut sich großer Beliebtheit.
Für ihr Engagement wurde die Familie Haag im Jahr 2020 mit dem Deutschen Landschaftspflegepreis ausgezeichnet. Der dazugehörige Kurzfilm kann hier aufgerufen werden.